Gut geweiht ist halb erwachsen Drucken E-Mail
Montag, den 14. März 2011 um 08:42 Uhr

Im Osten Deutschlands ist die Jugendweihe nach wie vor sehr beliebt. Wenn ich an meine eigene 1984 im Schützenhaus zu Beeskow denke, muss ich schmunzeln. Absoluter Renner waren bei den Mädels gestufte, glockige und vor allem lange Röcke (ich nicht!). Oben ein Stöffchen mit diversen Rüschen und, nicht zu vergessen, die Stola. Erstmals wurde die Dauerwelle zur Schau getragen und an den Füßen hohe Schuhe, da, eben ungewohnt, nach spätestens 2 Stunden sich die ersten Blasen zeigten.
Unsicher sind wir jungen Damen auf den ungewohnten Stelzenfüßen die Stufen zur Bühne empor geknickelt. Jede eine kleine Prinzessin in anderer Garderobe, verlegen das nicht minder ungewohnte Dekolleté zurechtrückend. Die gleichaltrigen jungen Herren mit sichtlichem Entwicklungsrückstand. Manche hängen wie eingesackt in ihren Generaldirektorenanzügen herum und versuchen, möglichst routiniert den Jackettknopf zu schließen. Andere in Jeans mit übergeworfenem Hemd, höchstens einen schwarzen Schlips oder eine trendige Weste dazu. Und natürlich neue Turnschuhe. „Jugendweihe – Dein Tag“ prangt es über der Bühne.
Was da so erzählt wurde, weiß ich nicht mehr. Mit meiner anerzogenen Ge-sinnung war es auch egal und so ging es den meisten meiner Mitschüler. Wir freuten uns auf die folgende Feier, die lieben Verwandten waren da mit den gefüllten Briefumschlägen. Wollten wir doch alle, wenn es schon nicht für eine Schwalbe oder eine Simson reichte, wenigsten den „Anett Kassetten-recorder“ für 750 DDR-Mark ergattern, um abends Musik aufzunehmen.
Dort oben auf der Bühne gab‘s die „Weihe“ in Gestalt des Namensaufrufs, einer Urkunde, einer Blume und einem Buch.
Nicht alle wußten, warum man eigent-lich da war, nach dem Motto: „Ich mach´ mir keinen Kopp, ich gehe einfach hin. Man wird in den Kreis der Erwachsenen aufgenommen werden und es ist wichtig, dass man Wichtiges laut sagt, man nicht mehr als Kind gilt und mit „Sie“ angeredet werden sollte.
Und es ist wichtig, dass möglichst die Großfamilie mit dabei ist. Von Ini-tiationsritualen in allen Weltkulturen hatten wir noch nie etwas gehört. Auch nicht von den Ursprüngen der Jugend-weihe in freidenkerischen Kreisen, wie nachzulesen im großen Weltan-schauungsbuch.
Der Frühling ist auch die hohe Zeit des offiziellen Eintritts in den Frühling des Lebens. An jedem Wochenende gibt es wie hier in Beeskow nun Jugend-weihefeiern.

Vor dem Verbot durch die Nazis und der erfolgreichen Einführung eines atheistischen Volksbrauches in der DDR wählte rund ein Drittel der Jugendlichen aus Kreisen der Freidenker, der Sozialisten und Kommunisten diese Form des Erwachsenen-Handschlags.
Denn in der DDR wurde die Jugendweihe bewusst als Gegen-veranstaltung zu Konfirmation und Kommunion aufgebaut. Ein Pflicht-programm an Jugendstunden bereitete auf den großen Tag vor. Der Handschlag kam von einem führenden SED-Genossen, und das atheistische Welt-anschauungsbuch hieß „Weltall, Erde, Mensch“.
Die Kandidaten aber wirkten schon damals so unbeholfen halberwachsen wie heute. Naja, manchmal spielte sogar ein richtiges Jugendorchester oder ein Streichquartett „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“ …
Kann man heute für 95, ermäßigt 75 Euro Teilnehmerbeitrag nicht erwarten. Dafür aber kommen eventuell eine beachtliche Breakdance Gruppe und eine Sängerin, die richtig singen kann und ein Moderator mit richtigem Charme.
Ulrike Köhler

 
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