Anja klärt auf: Eine Assessorin über die Irrungen und Wirrungen im Rechtsalltag Drucken E-Mail
Montag, den 29. September 2014 um 07:48 Uhr

Über unsere Kinder und wie sie sich (doch nicht) ohne unsere Einwilligung tätowieren lassen dürfen.
Ein Albtraum: Unsere 16 jährige Tochter kommt nach Hause, schiebt ihren Pullover hoch und sagt ganz stolz: „Guck mal Mama, ich hab ein Tattoo.“ Quer über ihren Unterarm steht in großen Lettern „MAXIMILIAN“ geschrieben. Ich schreie vor Wut. Sie schreit zurück: „Ich darf das selbst entscheiden. Mein Tätowierer sagt, ich hab ein Recht auf freie Entfaltung meiner Persönlichkeit, ein Selbstbestimmungsrecht und außer-dem hab ich es von meinem Taschengeld bezahlt.“
Da bin ich erstmal platt, aber Unrecht hat sie nicht. Tatsächlich werben derzeit einige Tattoostudios junge Kunden auf eben diese Weise an. Sie nutzen die Tatsache aus, dass weder das Jugendschutzgesetz hier klare Regeln vorgibt, noch eine höchstrichterliche Entscheidung darüber vorliegt, inwieweit ein Jugendlicher zur „Verschönerung“ seines eigenen Körpers der Zustimmung seiner Eltern bedarf: Das Bürgerliche Gesetzbuches (BGB) bestimmt gemäß § 106 in Verbindung mit § 2, dass ein Minderjähriger, der das 7., aber noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet hat, in der Geschäftsfähigkeit beschränkt ist. Dies bedeutet, er bedarf zur Abgabe einer Willenserklärung der Einwilligung eines gesetzlichen Vertreters. Dies sind üblicherweise die Eltern als Sorgeberechtigte.
Von diesem Grundsatz gibt es aber Ausnahmen. Ohne Einwilligung der Eltern kann der Minderjährige einen zivilrechtlichen Vertrag beispielsweise schließen, wenn er dadurch lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt, oder wenn er die vertragsgemäße Leistung mit Geldern bewirkt, die ihm zur freien Verfügung von den Eltern überlassen wurden.
Das bedeutet, wenn die Kinder das Tattoo heimlich stechen lassen und von ihrem Taschengeld bezahlen, können wir Eltern das Geld später nicht ohne weiteres vom Studio zurückfordern.
Auch scheint unsicher, ob die Tattoostudios in diesem Fall straf-rechtlich belangt werden können. Grundsätzlich stellt das Tätowieren eine Körperverletzung dar. Nur wenn der Betroffene in diese eingewilligt, ist sie nicht rechtswidrig. Die Frage ist aber, wer in die Körperverletzung unserer beschränkt geschäftsfähigen Kinder einwilligen muss. Das Kind selbst oder der Sorgeberechtigte?
Weil Artikel 1 und 2 des Grund-gesetzes auch unseren Minderjährigen ein Persönlichkeits- und Freiheitsrecht einräumen, haben sie ein Selbstbestimmungsrecht: Sie dürfen allein entscheiden, ob sie ihren eigenen Körper tätowieren lassen.
Das Selbstbestimmungsrecht unserer Kinder kollidiert mit dem, uns Eltern zustehenden Sorgerecht. Das ist unglaublich, aber wahr. Die Tattoostudios gaukeln auf ihren Internetseiten sogar vor, das Sorgerecht trete hinter dem Selbstbestimmungsrecht zurück, wenn der Minderjährige die Einwilligungsfähigkeit besitzt, selbstständig die Maßnahme, die Folgen und das bestehende Risiko einzuschätzen und das „für“ und „wider“ abzuwägen.
Aber eben diese Hürde, die Minderjährigen als einwilligungs-fähig einzustufen, wagen sich die Tätowierer Gott sei Dank nicht zu überwinden!!! Sie verlangen weiterhin die schriftliche Zustimmung und Ausweise der Eltern oder sogar die Begleitung durch ein Elternteil. Denn sie wissen ganz genau: mit einer falschen Einschätzung kriegen wir sie juristisch doch noch dran! Sie kennen unsere Kinder nicht - wir schon. Wir wissen, dass „MAXIMILIAN“ die erste große Liebe ist.
Wir glauben aber nicht, dass das immer so bleibt...Selbstverständlich lassen wir unsere Kinder in dem Glauben, aber wenn dann nach einer Woche, ein neuer „Kumpel“ an die Tür klopft, müssten die Tätowierer wohl hoffen, dass der auch Maximilian heißt, sonst braucht das Tattoo auf dem Arm unserer Tochter ganz schnell ein „Cover up“ (Übertätowierung) mit dem Namen des neuen Schwarms... Und das tut weh und wird teuer...also: hütet euch ihr Tätowierer, Finger weg von unseren Kindern, sonst folgt ganz schnell die Anzeige und eine dicke Schmerzensgeldklage von pflicht-bewussten Eltern!
Ihre Anja Behrendt

 
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